Ein Mathematiker versucht sich als Journalist

Dieser Taschner ist ein Tausendsassa! math.space-Betreiber, Wissenschaftler des Jahres und der Marcel Prawy der Mathematik, wie ein Kollege so trefflich formulierte. Jemand der mit Stehvermögen und Leichtigkeit zugleich die Wissenschaft der Zahlen und Kurven unter die Leute bringt: Und jetzt kriegt er auch noch eine Kolumne in einer Tageszeitung!
So kündigte es jedenfalls Michael Fleischhacker am Wochenende groß auf S. 2 an: Jeden Donnerstag! Und verführte mich dazu, etwas zu tun, was ich in meinem ganzen Zeitungsleserleben noch nie getan habe: Am Mittwochabend die „Presse“ zu kaufen.
Gleich auf S. 32 aufgeschlagen und – gestutzt. Das Taschnersche Thema: die ab Herbst erscheinende Fellnersche Tageszeitung, genauer ihr Titel: „Österreich“. Ein Mathematiker schreibt über Medien? Über ein Thema das vor über einem Monat diskutiert wurde (als der Titel bekannt gemacht wurde), also journalistisch längst durch ist? Und das mit einer, na ja, mäßig witzigen Kolumne, in der gerade mal eine Zahl, aber ziemlich viele Zeitungstitel vorkommen. Taschner greift sich auf dem Foto an die Brille, ich an den Kopf. Dass Fleischhacker ihn als „journalistischen Neueinsteiger“ begrüßt hat, erschließt sich erst jetzt in seiner Perfidie. Herr Taschner, bitte schreiben Sie doch wieder über Gauß und die Unendlichkeit! Sonst bleibt es bei diesem einen am-Mittwochabend-die-Donnerstagspresse-kaufen.
http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=m&ressort=q&id=559580

PS I: Heute, 18.5., spricht übrigens um 14.30 Uhr Albrecht Beutelspacher, der Taschner Deutschlands, im math.space über „Mathematik als öffentliche Wissenschaft“. math.space.or.at.

PS II: In der „Welt“ erschien von Mai 2003 bis April 2005 jeden Montag die Kolumne „Fünf Minuten Mathematik“, verfasst von Ehrhard Behrends, Matheprof. an der FU Berlin und Betreiber von www.mathematik.de., einer Plattform zur Popularisierung, genauer eigentlich: zur öffentlichen Legitimierung des Faches.
Darin erklärte Behrends etwa, warum vier Farben genügen, um auf einer Landkarte beliebig viele Länder anzumalen, dass nie zwei mit der gleichen Farbe aneinander stoßen. Ok, auch das kein absoluter Brüller, aber doch ok. Jedenfalls Mathematik: Die Kolumnen stehen noch online
http://www.mathematik.de/mde/presse/fuenfminuten/fuenfminuten.html
jupe - 23. Mai, 10:53

Ich habe die Kolumne nicht gelesen, finde aber - so nach deiner Erzählung - ebenfalls, dass sich Taschner doch lieber mathematischen Themen widmen sollte. Oder zumindest die Gelegenheit nützen sollte, die Mathematik ein bissl unter die Leut bringen. Denn dafür wurde er doch engagiert, oder? Dachte ich.

weisel - 29. Mai, 16:27

Für das Recht auf freie Meinungsäußerung, selbst für Mathematiker

hab jetzt den artikel von taschner nachträglich gelesen und muss sagen: eigentlich ziemlich witzig das ganze. habe jedenfalls von hauptberuflichen journalisten schon weit unwitzigeres gelesen. und zum thema "ja, darf er denn das?": noch ist es ja gottseidank so, dass auch wissenschaftler das recht haben, stellung nehmen dürfen zu dingen abseits ihres brotjobs. im besten fall nennt man das "intellektuelle, die sich kritisch in gesellschaftsdiskurse einmischen". dass es bei der presse eher um die vermpimperlisierung und verkommentarisierung des blattes geht, ist eine andere sache.

jupe - 30. Mai, 12:26

Experten zu allem Möglichen befragen? Oder: Vordenker nachdenken lassen.

Wonach werden eigentlich die Intellektuellen ausgewählt, die dann in ihren Kommentaren die Welt kritisch beleuchten?
Prinizipiell natürlich eine super Idee, so Vor-und Nach-Denker zu engagieren um die grauen Zellen ein bißchen anzutreiben.
Aus Wissenschaftskommunikationssicht ist es aber ein wenig schade, dass Taschwer über was anderes geschrieben hat als über Mathematik. Und irgendwie klingt das nach: "hey, da ist ein Experte - lassen wir ihn doch zu allem was sagen, immerhin ist er ein Denker"....
gleichzeitig aber: wer sonst soll sich Gedanken über die Welt machen, als die DenkerInnen? Also wie immer: zwei Seiten.
So, und jetzt genug mit Theoretisieren - vielleicht sollte ich einfach die Kolumne mal lesen!!!

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